Mitteilungen zu Gesetzesänderungen und neuer Rechtsprechung verfasst von RA Michael Engel.
Die folgenden Beiträge stellen die persönliche Meinung des Verfassers zu rechtlichen Themen dar und sollen bzw. können keine Rechtsberatung im Einzelfall ersetzen.
Spielen subjektive Vorstellungen von Moral beim Mord eine Rolle? BGH sagt nein!
Der Bundesgerichtshof hat am 24.09.2024 die Revision eines aus dem Jemen stammenden Mannes gegen seine Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verworfen. Dazu hatte das Landgericht Bremen den Angeklagten zuvor verurteilt, da es davon ausging, dass dieser seine jüngere in Bremen lebende Schwester erstochen habe. Das Landgericht Bremen als Tatgericht sah es als erwiesen an, dass der Täter handelte weil ihm der offene Lebensstiel seiner Schwester nicht gefiel. Den Entschluss zu dieser Tat fasste der Angeklagte in subjektiver Sicht um seine und die Ehre der Familie, die er vermeintlich dadurch gefährdet sah, wiederherzustellen. In seinem oben genannten Beschluss zum Aktenzeichen 5 StR 499/24 stellt der Bundesgerichtshof klar, dass Maßstab für die Annahme, dass die Tat aus niedrigen Beweggründen (sog. Mordmerkmal) geschah, die sittliche Vorstellung der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland sei. Damit stehe das Motiv dieser Tötung nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe.
Bundesverfassungsgericht zur Wiederaufnahme von Strafverfahren
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 31.10.2023 (Az. 2 BvR 900/22) auf eine Verfassungsbeschwerde hin § 362 Nr. 5 StPO für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit für verfassungswidrig erklärt. Die zuvor genannte Vorschrift sah seit Ende des Jahres 2021 vor, dass eine Wiederaufnahme von Strafverfahren möglich sei bei Taten wie Mord, Taten gegen des Völkerstrafgesetzbuch und Kriegsverbrechen. Dieses auch dann, wenn die Verfahren bereits rechtkräftig abgeschlossenen waren und nun neue Tatsachen und Beweismittel vorlägen. Dadurch musste auch ein rechtskräftig Freigesprochener in solchen Fällen damit rechnen nochmals angeklagt zu werden. Dem ist das Bundesverfassungsgericht nunmehr entgegen getreten, indem es die zuvor genannte Norm nicht mit Artikel 103 Abs. 3 des Grundgesetzes dem sog. Doppelbestrafungsverbot als vereinbar ansah. Dem ist zuzustimmen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht u.a. festgestellt, dass man nicht nur nicht mehrfach bestraft werden darf, sondern, dass man auch nicht mehrfach wegen des gleichen Sachverhaltes strafrechtlich verfolgt werden darf. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung die Sachverhalte betrifft bei denen es gerade neue Tatsachen und Beweismittel (z.B. DNA Tests) sind die eine Wiederaufnahme ermöglichen könnten nun aber rechtlich nicht mehr dürfen, daher sind andere Gründe zur Wiederaufnahme von Strafverfahren in § 362 StPO von dieser Entscheidung nicht betroffen. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht, hinsichtlich des konkreten der Entscheidung zugrunde liegenden Einzelfalls, zusätzlich auch einen Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 3 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, dem sog. Rechtsstaatsprinzip d.h. dem Vertrauensgrundsatz sah. Es läge eine unzulässige echte Rückwirkung auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt, nämlich dem mit Freispruch rechtskräftig abgeschlossenen ersten Prozess vor, wenn freisprechende Urteile die vor dem 30.12.2021 – dem in Kraft treten des neuen Absatz 5 des § 362 StPO – abgeschlossen waren, wieder zur Aufnahme gelangt wären. Im zugrunde liegen Fall war der ehemalige Angeklagten und jetzige Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde im Jahr 1983 freigesprochen worden. Eine Durchbrechung dieser echten Rückwirkung und damit eine Durchbrechung des Vertrauens in den Bestand dieses rechtskräftigen Freispruches sei auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigt. Insgesamt macht das Bundesverfassungsgericht in seinem 59 Seiten umfassenden Urteil umfangreiche und interessante Ausführungen zur historischen Entwicklung des Mehrfachbestrafungsverbotes bzw. Mehrfachverfolgungsverbotes im deutschen Recht von der Zeit seit 1877 bis hin zum Artikel 103 Abs. 3 des Grundgesetzes in seiner heutigen Form. Ein Argument kommt meiner Ansicht nach besondere Bedeutung in diesem Zusammenhang zu, welches auch des Öfteren im Urteil Erwähnung findet. Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens wegen neuer Tatsachen und Beweismittel muss nicht zwingend zu einem „besseren Prozess“ führen. Ebenso können andere Beweismittel in der Zwischenzeit wieder verloren gegangen sein bzw. sich verschlechtert haben. So können Zeugen des ersten Prozesses zwischenzeitlich verstorben sein oder sich nach mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr so präzise erinnern.
Bundesverfassungsgericht zum sog. Ku‘ damm-Raser-Fall
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde eines Mitangeklagten bezüglich seiner Verurteilung im sog. Ku`damm-Raser-Fall wegen Mordes mit Beschluss vom 07.12.2022 nicht zur Entscheidung angenommen.
Zur Erinnerung: Das Landgericht Berlin hatte am 26.03.2019 zum dortigen Aktenzeichen (532 Ks) 251 Js 52/16 (9/18) – nachdem ein vorheriges Urteil des Landgerichtes Berlin nach einer Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) keinen Bestand hatte -, wieder den nunmehrigen Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde wegen eines sog. Autorennens in der Berliner Innenstadt und dem dadurch bedingten Unfall mit einem dabei zu Tode gekommenen unbeteiligten Autofahrer u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revisionen gegen das zweite Urteil des Landgerichtes Berlin blieben im wesentlichen erfolglos. Der Bundesgerichtshof bestätigte am 18.06.2020 zum dortigen Aktenzeichen 4 StR 482/19 die bis dahin umstrittene Frage der Verurteilung wegen des vorsätzlichen Tötungsdeliktes eines Mordes durch das Fahrens eines Autorennens im öffentlichen Straßenverkehr.
(Anm. Argumente und Ausführungen sind vereinfacht und abgekürzt dargestellt)
Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit seiner nicht erfolgreichen Verfassungsbeschwerde. Diese stützt er auf eine Verletzung von Art. 102 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) der besagt, dass eine Tat nur betraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, sog. Bestimmtheitsgebot. Umgangssprachlich bedeutet dieser Grundsatz, dass man nicht wegen etwas bestraft werden kann, was der Wortlaut des Gesetzes nicht mehr hergibt. Gerichte sollen nicht über die Wortlautgrenze des Paragraphen hinausgehen und damit quasi neue Straftatbestände schaffen können. Was strafbar ist und was nicht muss für den Betroffenen vorher erkennbar und damit bestimmbar sein.
Der Beschwerdeführer macht daher geltend, dass man diese Bestimmbarkeit verlassen habe, indem das Landgericht Berlin und der BGH hier die Grenze zwischen noch fahrlässiger Tötung und einem schon vorsätzlichen Handeln bezüglich der Tötung einer Person verwischt habe. Man habe hier quasi bereits das Wissen und Wollen einer Gefahrensituation ausreichen lassen um über die fiktive Figur eines rational handelnden Autofahrers schon zur untersten juristischen Stufe des Wissens und Wollens (bedienter Vorsatz) einer Tötung zu gelangen. Damit habe man dann nicht mehr den konkreten Täter und dessen Vorstellungswelt bezüglich seines Handels beurteilt und verurteilt bzw. dem folgend die persönliche Vorwerfbarkeit hinsichtlich der konkreten Person (dessen Schuld) aus den Augen verloren. Die Fachgerichte hätten sich daher zu wenig mit der Sicht des Täters, insbesondere zu den jeweiligen Zeitpunkten seiner angeklagten Autofahrt, auseinandergesetzt und vielmehr bereits die reine und hohe Gefährlichkeit der im Ergebnis geschaffenen Situation und den später eingetretenen Tod eines Menschen als ausreichend für einen Tötungsvorsatz betrachtet. Im Übrigen sei die Einordnung der Tat als Mord mit der Folge lebenslanger Freiheitsstrafe zu hart und eher rechtspolitisch motiviert um einem in der Allgemeinheit bestehenden Bedürfnis nach einer höheren Strafe als für eine fahrlässige Tötung nachzukommen.
Dem tritt jedoch das BVerfG damit entgegen, dass weder das Landgericht Berlin noch der BGH in seiner Revisionsprüfung nur auf die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung abgestellten haben. Vielmehr haben beide Gerichte zutreffend die in der Rechtsprechung seit langen entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingten Vorsatz angewendet. Diese hätten auch die gesamte Tathandlung und auch die diesbezügliche subjektive Sicht des Handelnden betrachtet und sich auch psychologisch sachverständig zur Person des Täters beraten lassen.
Interessant ist hier nach meiner Ansicht, dass es auch die Argumente der sog. Selbstgefährdung des Täters, d.h. dass er selbst hätte verletzt werden oder bei einem – wann auch nicht gewollten – Unfall sterben hätte können nicht als einen Vorsatz ausschließend bestätigt.
Ebenso ließe auch das Argument, dass der Beschwerdeführer den Wunsch nach dem Gewinn des Rennens nicht realisiert hätte, wenn es zu einem Unfall gekommen wäre, nicht den Vorsatz, es dabei in Kauf genommen zu haben, dass dabei ein Mensch stirbt, entfallen. Beide Punkte hätten die Fachgerichte beachtet. Insbesondere der subjektive Wunsch nach dem Sieg im Autorennen und dem damit verbundenen Gefühl des Gewinnens haben die Fachgerichte gesehen und abgewogen. Ebenso ist eine den Tötungsvorsatz einer anderen Person eventuell ausschließende Selbstverletzungsmöglichkeit des Beschwerdeführers im Ergebnis mit dem Argument verneint worden, dass dieser auf den für ihn besseren Aufprallwinkel beim Unfall und der modernen Sicherheitsausstattung seines Autos vertraut habe.
Ebenfalls das vorgebrachte Argument, dass die Urteile der Fachgerichte und deren Vorsatzauslegung hier die Grenze zu den Gefährdungsdeliktes wie § 315c und § 315d des Strafgesetzbuches (Gefährdung des Straßenverkehrs und verbotene Kraftfahrzeugrennen) verwischen würde, verfange nicht. Bei getrennten juristischen Delikten können sowohl ein Vorsatz bezüglich der Schaffung einer noch reinen abstrakten oder konkreten Gefahrensituation als auch quasi zugleich bezüglich des sich Abfindens mit einer für möglich erkannten, wenn auch nicht gewollten und nicht angestrebten, Tötung vorliegen.
Hier wird es meiner Ansicht nach in ähnlichen Fällen immer sehr stark auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles ankommen.
Ein sog. „Verschleifen“ von Tatbestandsmerkmalen d.h. dass man quasi das eine dann immer zusammen mit dem anderen verwirklichen würde, läge nicht vor. Gemäß dem BVerfG sind die dazu getroffenen Feststellungen und Ausführungen der Fachgerichte nicht zu beanstanden und erfüllen daher die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Bestimmtheit einer Straftat nach Art. 102 Abs. 2 GG.
Auch dass die Fachgerichte hier den Beschwerdeführer als Person und seine individuelle Schuld aus den Augen verloren hätten und damit gegen Art. 1 Abs. 1 GG dem Schutz der Menschenwürde verstoßen hätten sieht das BVerfG nicht. Vielmehr haben beide Fachgerichte die objektiven und subjektiven Umstände der Tat ausreichend für und gegen den Beschwerdeführer abgewogen. Im übrigen sei es im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nicht möglich die dort getroffenen Abwägungen der Fachgerichte zu ersetzen, sondern nur auf die Grenzen einer Verletzung des Grundgesetzes hin zu überprüfen.
Bezüglich des letzten hier erörterten Argumentes, die Fachgerichte seien bei der Beurteilung des Sachverhaltes einer in der Öffentlichkeit befindlichen Erwartung nach einer höheren Bestrafung als der für eine fahrlässigen Tötung nachgekommen, folgt diesem Argument das BVerfG nicht. Ein solcher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dem sog. Willkürverbot (als Teil des Gleichheitsgrundsatzes) läge nur dann vor, wenn die Entscheidung der Fachgerichte sich unter keinem rechtlichen Aspekt rechtfertigen ließe. Willkür sei in dem für eine Verfassungsbeschwerde erforderlichen Umfang nicht vorgetragen und ergäbe sich auch nicht aus sonstigen Umständen der angegriffenen Urteile.
Vollständiger Beschluss:
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2022 – 2 BvR 1404/20 – Rn. (1 – 67)
Mord oder Totschlag ohne Leiche, geht das? – Der BGH sagt ja!
In zwei aktuelleren Entscheidungen, zuletzt vom 04.05.2022 – 1 StR 309/21, bestätigt der Bundesgerichtshof (BGH) eine Verurteilung des dortigen Angeklagten wegen Totschlages an zwei Personen, ohne dass die diesbezüglichen Leichen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Landgerichtes München als Vorinstanz oder später gefunden wurden. Ebenso hat der BGH ein Urteil des Landgerichtes Essen am 19.08.2021 – 4 StR 198/21 bestätigt und die Revision des dortigen Angeklagten als unbegründet verworfen, indem dieses in einem reinen Indizienprozess den Angeklagten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt hat. Beiden Verfahren lagen im Übrigen sog. Beziehungstaten im privaten Umfeld zu Grunde.
Die Entscheidungen des BGH bzw. der Landgerichte verwundern vielleicht zunächst, da man in Kriminalromanen oder Filmen vermutlich schon mal gehört hat, dass die Strafverfolgungsbehörden unbedingt die Leichen finden müssen, um eine Anklage zu erheben. Dazu ist zu sagen, dass im deutschen Strafrecht weder der § 212 StGB (Totschlag) oder § 211 StGB (Mord) vorschreibt, dass man nur angeklagt werden kann, wenn auch das Tatobjekt, sprich die Leiche gefunden wird. Die zuvor genannten Entscheidungen werden verständlich, wenn man auf § 261 StPO schaut, welcher mit „Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung“ überschrieben ist. Darin heißt es: „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“. Einfach gesagt bedeutet dies, dass wenn die Richterinnen und Richter aufgrund aller in einer Verhandlung gehörten Zeugen und aller dort einbezogenen Beweismittel wie Fotos vom Tatort, Blutspuren, Kenntnisse des Täters die nur der Angeklagte gehabt haben kann etc. zu dem logischen Ergebnis kommen oder besser gesagt davon überzeugt sind, dass die Tat vom Angeklagten begangen wurde, dann kann dieses eine Verurteilung begründen. Dieses gilt für jedes Delikt und wie man sieht auch für ein Tötungsdelikt.
Einen Link zu § 261StPO des Bundesamtes für Justiz finden Sie hier:
https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__261.html
Bundesgerichtshof (BGH) zum Alleinrennen bei Polizeiflucht.
Der BGH hat die Revision des dortigen Angeklagten am 24.03.2021 im Verfahren zum Aktenzeichen 4 StR 142/20 per Beschluss verworfen. Das Landgericht Berlin hatte zuvor den Angeklagten am 27.06.2019 wegen Diebstahls, Mordes in zwei Fällen, versuchtem Mord in drei Fällen, in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Dem lag folgender – hier abgekürzter Sachverhalt – zu Grunde. Der Angeklagte und zwei Mittäter wurden bei einem Diebstahl von Zivilbeamten der Polizei beobachtet und verließen den Tatort in Berlin mit einem Pkw in dem auch das Diebesgut war. Der polizeiliche Zugriff erfolgte an einer Kreuzung als das Täterfahrzeug bei Rotlicht halten musste, indem es von mehreren Polizeiwagen umzingelt wurde. Beim Zugriff öffnete u.a. ein Polizeibeamter die Beifahrertür und trat zwischen Tür und Fahrzeug, ein anderer schlug zum Zwecke der Ergreifung die Scheibe der Fahrertür ein. Der Angeklagte welcher sich entschloss seine Flucht fortzusetzen rammte sich durch Rückwärtsfahren und sodann mit einer Flucht über den Mittelstreifen den Weg frei und flüchtete auf der Gegenfahrbahn entgegen der dortigen Fahrtrichtung. Dabei wurde ein Polizeibeamter mitgerissen und zwei weitere mussten sich mit einem Sprung zur Seite retten. Auf der weiteren Flucht bog der Angeklagte in eine Tempo 30 Zone ein, wo er nach den Feststellungen im Prozessverlauf versuchte eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und nach 200 Metern wieder auf eine andere Straße abbog und zwar driftend mit einer Kurvengeschwindigkeit von ca. 35 km/h. Auf dieser Straße fuhr der Angeklagte dann auf eine für ihn Rotlicht zeigende Kreuzung ein. Hierbei kollidierte er mit zwei Fahrzeugen und erfasste eine Fußgängerin. Hierbei würden zwei Fahrzeuginsassen der anderen Fahrzeuge leicht verletzt. Die Fußgängerin verstarb jedoch an ihren Verletzungen. Das vom Angeklagten geführte Fahrzeug prallte zum Schluss mit der eigenen Beifahrerseite auf einen geparkten Pkw. Dabei kam der Beifahrer des Angeklagten ums Leben. Der weiter zu Fuß flüchtende Angeklagte wurde sodann von der Polizei festgenommen. Die Angaben des BGH Beschlusses zur Geschwindigkeit des vom Angeklagten geführten Fahrzeuges in diesem Geschehen sind: mindestens 80, 79 und 75 km/h.
Mit den bestätigten Verurteilungen wegen vollendeten Mordes folgt der BGH seiner seit seinem Urteil im sog. Berliner Rasenfall vom 18.06.2020 – 4 StR 482/19 eingeschlagenen Rechtsprechung. Hier sei nur kurz festzuhalten, dass der BGH nochmals darauf hinweist, dass auch dass in Kauf nehmen des eigene Todes das Fahrers einen bedingten Tötungsvorsatz gegenüber Dritten nicht grundsätzlich ausschließt. Dass auch der eigene Beifahrer Tatopfer eines solchen Mordes sein kann und nicht nur Personen außerhalb des geführten Pkw, ist zwar schon länger ständige Rechtsprechung, soll hier jedoch nochmals betont werden, da es meiner Ansicht nach zumindest außerhalb von Juristen nicht immer bekannt ist. Im Weiteren soll jetzt jedoch auf die Verurteilung wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge gemäß dem relativ neuen § 315 d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) im Rahmen der Flucht vor der Polizei eingegangen werden.
Der BGH bestätigt zunächst dass er die Tathandlung des abstrakten Gefährdungsdeliktes von verbotenen Kraftfahrzeugrennen im Sinne der Nr. 3 (sog. Alleinrennen) im Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit sieht. Dieses Fortbewegen muss grob verkehrswidrig und rücksichtslos sein. Hier greift der BGH wie bisher auf die Rechtsprechung des älteren Deliktes des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB der sog. Gefährdung des Straßenverkehrs zurück und ergänzt, dass sich die Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit zum einen auch bereits aus einer sehr hohen Geschwindigkeitsüberschreitung ergeben kann aber auch aus einem Zusammenwirken von Gesamtumständen. Die Handlung muss von der Absicht des Täters getragen sein eine höchstmögliche Geschwindigkeit über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke zu erreichen. Hier wird es meiner Ansicht nach interessant, da der BGH in seiner Entscheidung es zur Verwirklichung des Deliktes ausreichen lässt, wenn diese Fahrweise nur als sog. Zwischenziel angestrebt wird. Im oben beschrieben Fall war es dem Angeklagten sehr wahrscheinlich nur darauf angekommen sich der Ergreifung durch die Polizei zu entziehen. Dass er dabei auch in sich selbst gefährdender Weise mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit seines geführten Fahrzeuges fuhr, war im vermutlich auch selbst gar nicht recht. Er tat es aber um sein Endziel die unerkannte Flucht zu erreichen. Damit hat der BGH die Möglichkeit eröffnet die Flucht vor der Polizei in den Tatbestand des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB einzubeziehen. Was vermutlich auch oft der Fall sein wird, da eine Fluchtfahrt eines vermeintlichen Täters mit einem Kraftfahrzeug vor der Polizei mit angepasster Geschwindigkeit eher die Ausnahme sein wird. Konkreter wird der BGH auch darin, dass er als nicht unerhebliche Wegstrecke eine Distanz von bereits 100 Metern ausreichen lässt die mit maximaler Beschleunigung zurückgelegt wird, wenn der Täter beabsichtigt die Fahrt so lange fortzusetzen bis sein Endziel die Flucht vor der Polizei erreicht ist. Im Ergebnis kann man daher festhalten, dass der Tatbestand des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB (sog. Alleinrennen) damit eine erhebliche Ausweitung erfahren hat, da nun viele Polizeifluchten mit einem Kraftfahrzeug dazu gehören können bzw. sogar werden. Es ist festzustellen, dass die Tendenz des BGH in seiner Rechtsprechung zum sog. Alleinrennen klar erkennbar wird. Es sollen gerade nicht nur die Fälle erfasst werden, wo stark motorisierte Sportwagen mit weit über 100 km/h und mehr durch Innenstädte fahren. Auch der Kleinwagenfahrer, welcher versucht durch eine Vollgasfahrt z.B. in einer Tempo 30 Zone eine maximale Geschwindigkeit zu erreichen und diese vielleicht auch mit 60 km/h erreicht, indem er alles aus seinem Fahrzeug rausholt und es die Straßenbedingungen auf einer nicht unerheblichen Wegstrecken zulassen, kann in den Anwendungsbereich des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB fallen. Verursacht der Täter dabei den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderer Mensch oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen ist die Qualifikation des Absatzes 5 gegeben und der Strafrahmen von 1 bis 10 Jahren Freiheitsstrafe, in minder schweren Fälle von 6 Monaten bis zu 5 Jahren, eröffnet.
Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet zum sog. Stuttgarter Raserfall und verneint Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes.
Der BGH hat in seinem Beschluss vom 17.02.2021 – 4 StR 225/20 Revisionen der Nebenklage verworfen, welche sich gegen die Entscheidung der Tatsacheninstanz des Landgerichtes Stuttgart vom 21.02.2019 – 60 Js 24715/19 4 KLs wendeten, worin der dortige angeklagte Autofahrer u.a. „nur“ wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Form eines sog. Alleinrennens mit Todesfolge nach § 315 d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) verurteilt wurde. In dem vom Landgericht Stuttgart zu entscheidenden Fall verursachte der Fahrer eines hoch motorisierten Sportwagens bei innerorts zugelassenen 50 km/h bei einer mit bis zu 160 km/h durchgeführten Fahrt, nachdem er bei einem Ausweichmanöver hinsichtlich eines anderen Fahrzeuges die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte, beim Aufprall mit noch mindestens 90 km/h auf einen an einer Parkplatzausfahrt sehr langsam fahrenden Kleinwagen den Tod zweier Personen. Vor dem Zusammenstoß war der Sportwagen bereits im nicht mehr kontrollierbaren Zustand mit zwei Rädern gegen einen Bordstein geprallt und über einen Grünstreifen gefahren. Der BGH befasst sich in seinem 14 seitigen Beschluss u.a. mit der Frage eines bedingten Vorsatzes bezüglich eines Tötungsdeliktes und nimmt Stellung zu den tatbestandlichen Voraussetzung eines sog. Alleinrennens, wo es dem Fahrer insbesondere nur darauf ankommt alleine ein hohes Tempo zu erreichen. Einen Tötungsvorsatz verneint der BGH, wie auch das LG Stuttgart deshalb, da zu Gunsten des Angeklagten nicht auszuschließen war, dass er darauf vertraut habe das von ihm geführte Fahrzeug auch in gefährlichen Situation auch bei hoher Geschwindigkeit jederzeit sicher beherrschen zu können. Hier hat der BGH wohl insbesondere darauf abgestellt, dass der Angeklagte wie oben beschrieben bei einen vorherigen Ausweichmanöver bezüglich eines anderen Fahrzeuges bereits die Kontrolle über den Sportwagen verloren hatte. Es ist juristisch konsequent daher den Standpunkt einzunehmen, dass zumindest der Kontrollverlust nach dem ersten Ausweichen, nicht vom Angeklagten gewollt war oder billigend in Kauf genommen wurde. Genau das dürfte der Angeklagte und meiner Ansicht nach auch alle anderen, welche sich zum Zwecke eines sog. posing in den Straßenverkehr begeben nicht wollen, nämlich durch Kontrollverlust über das Fahrzeug aufzufallen. Trotzdem ist nach meiner Ansicht diese Argumentation aber auch nicht frei von Kritik. Es wirft die Frage auf inwieweit eine subjektive Vorstellung des Fahrers über herausragendes Fahrkönnen zu verfügen noch als realistische Ansicht angesehen werden kann, dass man auf eine immer gegebene Kontrolle des geführtes Fahrzeuges vertrauen kann. Es ist vermutlich davon auszugehen, dass die weitere Rechtsprechung zumindest absolut unrealistische Ansichten zum eigenen Fahrkönnen wieder argumentativ in den bedingten Vorsatz einbeziehen wird, da ansonsten Zufälligkeiten den Ausschlag geben könnten, ob durch einen Kontrollverlust über das Fahrzeug ein Tötungsvorsatz (wieder) entfällt. Hier wird es sehr auf den speziellen Einzelfall ankommen. Bezüglich der Verurteilung eines Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge geht der BGH in seinem Beschluss die drei Stufen bis zum sog. qualifizierten Erfolgsdelikt systematisch durch. Bezüglich des Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, welches zunächst nur eine abstrakte Gefahr voraussetzt, lässt der BGH zunächst ein sich Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit ausreichen und lehnt sich dabei an die bis dahin entwickelten Grundsätze der Straßenverkehrsordnung und anderer Verkehrsdelikte des StGB an und eröffnet damit zunächst einen weiten Anwendungsbereich. Verengt wird der objektive Tatbestand wieder dadurch, dass wie auch aus einem anderen Verkehrsdelikt bekannt, die Handlung grob verkehrswidrig und rücksichtslos sein muss. Umgangssprachlich bedeutet das, dass der Täter nur sich und seine Interessen im Sinn hat. Damit dürften die Fälle einfacher alltäglicher Geschwindigkeitsüberschreitungen spätestens auszuscheiden sein. Ferner stellt der BGH darauf ab, dass sich die grobe Verkehrswidrigkeit und die Rücksichtslosigkeit gerade aus der Geschwindigkeitsüberschreitung ergeben. Hinzu kommen muss wie von der Vorschrift gefordert auch noch das subjektive Streben des Fahrers eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen sowie – und das ist neu – es muss sich auf eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen. Im Stuttgarter Raserfall war der Angeklagte im übrigen ganz kurz bevor das Unfallgeschehen begann selbst kurz langsamer geworden nachdem er 163 km/h erreicht hatte. Der BGH ging aber davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die Grundnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bereits verwirklicht war. Meiner Ansicht nach könnten solche Unterbrechungen, zumindest wenn diese länger andauern, jedoch in anderen Fällen durchaus beim Anknüpfen von Qualifikationen, welche eine konkret Gefährdung oder einen bestimmten weiteren Erfolg fordern relevant sein. Hier sieht der BGH jedoch die konkrete weitere Gefährdung von Leib und Leben anderer Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert nach § 315d Abs. 2 StGB für gegeben an und gelangt auch durch den Tod zweier Menschen zur Qualifikationen des Deliktes nach dessen Absatz 5. Es ist zu erwarten dass § 315d StGB quasi zukünftig eine Art Basisdelikt sein wird, das in den Raserfällen mit tödlichen Ausgang zur Anwendung kommt auch wenn sich diesbezüglich noch viele juristische Fragen zu diversen Fallgestaltungen ergeben werden. Dieses auch da Anklagen wegen Mordes wegen des Grundsatzes im Zweifel für den Angeklagten und der subjektiven Einstellung des Angeklagten zur Tat hohe Anforderungen an die Beweisbarkeit stellen. Einen Link zu § 315 d StGB des Bundesamtes für Justiz finden Sie hier: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__315d.html
Bundesgerichtshof entscheidet zur rechtlichen Frage ob die Benutzung eines elektronischen Taschenrechners am Steuer beim Führen eines Fahrzeuges einen Bußgeldverstoß darstellt.
Mit Beschluss vom 16.12.2020 – 4 StR 526/19 hat der BGH auf die Vorlagefrage des Oberlandgerichtes Hamm, welches von der Rechtsauffassung des OLG Oldenburg abweichen wollte entschieden, dass ein elektronischer Taschenrechner ein elektronisches Gerät sei, welches der Information dient oder zu dienen bestimmt ist und somit unter die Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO fällt. Nach § 23 Abs. 1a StVO ist die Nutzung von elektronischen Geräten welche der Kommunikation, Information oder der Organisation dienen oder dazu bestimmt sind nur unter besonderen Bedingungen seit dem Jahr 2017 beim Führen eines Fahrzeuges zulässig. Zunächst bezieht sich der BGH auf die Entwurfsbegründung des Gesetzgebers wonach „die Hände des Fahrzeugführers grundsätzlich zur Bewältigung der Fahraufgaben zur Verfügung stehen sollen und der Blick des Fahrzeugführers im Wesentlichen – von kurzen Blickabwendungen abgesehen – auf das Verkehrsgeschehen zu konzentrieren bleibt“. Das interessante an der Entscheidung ist der perspektivische Ausblick den die Entscheidungsgründe eröffnen, indem der BGH aus der Begründung des Gesetzgebers eine weite ausschöpfende Auslegung der Wortbedeutung des Tatbestandsmerkmals Geräte die der Information dienen ableitet. Daher ist zu erwarten, dass bei Grenzfällen die Gerichte eher davon ausgesehen, dass ein elektronisches Gerät im Sinne von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO vorliegt, welches der Information dient oder zu dienen bestimmt ist. Einen Link zu § 23 StVO des Bundesamtes für Justiz finden Sie hier. https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__23.html
Das Bundesverfassungsgericht konkretisiert in seinem Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 1853/20 die Anforderungen an die Fortsetzung von Untersuchungshaft und deren Begründung hinsichtlich eines diesbezüglichen Beschlusses der Instanzgerichte.
In der zuvor genannten Entscheidung wurde eine Fortsetzung der bis dahin 9 Monate bereits andauernden Untersuchungshaft als Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 und 104 des Grundgesetzes gewertet, weil ein psychologisches Gutachten zur (verminderten) Schuldfähigkeit eines Mitangeklagten dem Gericht noch nicht vorlag. Im dortigen Fall befand sich das Strafverfahren noch im Zwischenverfahren d.h. über die Zulassung der über 5 Monate zuvor eingereichten Anklage der Staatsanwaltschaft war gerichtlich noch nicht entschieden. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich eingehend mit der Frage des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen und stellt fest, dass Verfahrensverzögerungen über einen längeren Zeitraum dann nicht mehr als notwendig anzuerkennen sein können, wenn ihre Ursachen nicht im konkreten Strafverfahren begründet sind. Insbesondere können sich die Strafgerichte nicht pauschal auf längere, nicht ihrer Kontrolle unterliegende, Bearbeitungszeiten externer Sachverständiger berufen. Vielmehr sind gegebenenfalls prozessleitende Maßnahmen wie Verfahrenstrennung oder die Beauftragung eines anderer Sachverständigen zu erwägen. Im Ergebnis fruchtlose Sachstandanfragen des Gerichtes bezüglich der Erstellung des beauftragten Gutachtens erfüllen die Anforderungen an einen zügigen Fortgang des Verfahrens alleine nicht. Jedenfalls müssen sich die Fachgerichte in ihrer Begründung eingehend mit den Möglichkeiten einer Prozessbeschleunigung im Hauptsacheverfahren auseinandersetzen.
Neue Bestimmungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ab dem 02.12.2020. Diese betreffen unter anderem neue Regelungen zum Aufwendungsersatz des Abmahnenden, den formellen Voraussetzungen einer Abmahnung und den Gegenansprüchen des Abgemahnten, zur Vertragsstrafe und zum Gerichtsstand sowie ab dem 01.12.2021 zur Klagebefugnis. Die geänderten Regelungen finden sich insbesondere in den §§ 8, 8c, 13, 13 a und 14 des UWG sowie in § 3 des Unterlassungsklagegesetzes (UKlaG).